„In Ruhe dem Gewerbe beim
Abkacken zusehen“
Freitag Nachmittag, ein Gewitter zieht auf. Der Himmel pechschwarz, Regen klatscht an die Scheibe, das Donnern noch etwas entfernt.
Könnte der
perfekte Einstieg sein für eine Folge der ehemaligen Erfolgs-Serie „Hinter
Gittern“, in der Barbara Freier über ein Jahrzehnt lang eine Hauptrolle
spielte.
Ich bin mit
Barbara Freier verabredet, möchte von ihr wissen, ob diese Rolle, diese Serie
für sie eher Fluch oder Segen war.
Mein Handy klingelt. „Guten Tag, hier ist Sarah von den SOS Kinderdörfern. Sie haben doch sicher schon gehört von der Hungersnot in Afrika, es geht ja durch alle Medien. Wissen Sie eigentlich, dass täglich…“ – „Entschuldigung, ich hab grad überhaupt keine Zeit“, unterbreche ich sie. - „Darf ich Sie nochmal anrufen?“ – „Ja, nächste Woche.“
So, jetzt
aber Frau Freier anrufen. Die 67jährige lebt noch immer in Berlin. In einer
kurzen Mail versicherte sie mir, mein Projekt fände sie spannend. Sie hebt nach
dem zweiten Klingeln ab. „Barbara Freier.“ Ihre Stimme: warm. Ich seh sofort
die JVA Reutlitz vor mir. Wo sind Walter und der Geier?
Ich
entschuldige mich für die kurze Verzögerung, erzähle ihr vom Anruf der SOS
Kinderdörfer. „Welch lustige Pointe, direkt zu Beginn“, freut sie sich.
Wieso?
Ist doch ein
toller Auftakt für ein Gespräch. Ich könnte Ihnen eine tolle Geschichte über
die SOS Kinderdörfer erzählen.
Sehr gerne. Meine erste Frage wär
gewesen, was die beste Geschichte ist, die Sie erzählen können. Das passt ja
gut.
Naja, die
beste Geschichte ist es nicht.
Egal.
Ich arbeite
ja nun als Sprecherin. Wenn man mich lässt. Ich wurde mal ausgesucht als
Sprecherin für die TV-Spots der SOS Kinderdörfer. Ich fuhr also hin, 20 Leute
am Set. Der Regisseur, seine Assistenten, der Art Director. Jeder quasselte
rein. „Das war noch nicht persönlich genug“, „Das fand ich jetzt unpassend“.
Als alles abgeschlossen war, kommt eine Dame zu mir und sagt: „Frau Freier, wir
würden Sie gerne exklusiv haben. Ihre Stimme ist so toll, die hätten wir gerne
nur für unsere Organisation.“ Ich stimmte zu. Ein paar Tage später kam ein
Anruf meiner Agentur, der Oberboss der SOS Kinderdörfer hat abgelehnt. „Was?
Das ist Barbara Freier, die das spricht? Das ist doch die von ‚Hinter Gittern’.
Nee, die können wir nicht nehmen. Das können wir unserer Klientel nicht
zumuten.“
Sie lacht. Ich bin fassungslos.
Denke im ersten Moment, dass das nur erfunden ist.
Unglaublich. Ist Ihnen das öfter
passiert, dass man gesagt hat „Nee, die Freier war doch mal in dieser
Knast-Serie, die wollen wir nicht.“
Mir nicht.
Aber ich weiß von ein paar Kolleginnen, die es nach ‚Hinter Gittern’ sehr
schwer hatten. Und das lag nicht mal an der Serie an sich, sondern daran, dass
man für RTL gearbeitet hat. Da wurde man schonmal abgelehnt mit den Worten
„Nee, mit diesen RTL-Fressen arbeiten wir nicht zusammen.“
Nicht erfunden, klar. Wieso auch?
Schon nach wenigen Sätzen ist zu merken: Barbara Freier ist ein ehrlicher
Mensch, von Grund auf sympathisch. Geboren in Essen; die Ruhrpott-Schnauze kann
sie auch. Und schon jetzt ist klar: das wird kein Gespräch, in dem „Hinter
Gittern“ verklärt wird.
„Hinter Gittern“, die
RTL-Knastsaga, startete 1997 mit mauen Quoten, punktete aber mit einem starken
Ensemble und guten Geschichten. Das sprach sich rum. Die Quoten stiegen,
„Hinter Gittern“ war der Quotengarant von RTL, der verlässlich jede Woche bis
zu 7 Millionen Menschen anlockte.
Barbara Freier war Uschi König.
Inhaftiert, weil sie im Affekt die Geliebte ihres Mannes erschoss. Später tötet
sie noch einen Drogendealer und einen entflohenen Psychopathen, der sie zum
Selbstmord überreden will.
Als die Quoten sinken, zieht RTL
die Reißleine und nimmt „Hinter Gittern“ aus dem Programm. Über all das will
ich mit Barbara Freier reden.
Aber auch darüber, wie es
eigentlich anfing: ihre Karriere als Schauspielerin.
Das Problem – das eigentlich
keines ist: meinen Fragenkatalog kann ich vergessen. Ich werde ab jetzt kein
einziges Mal mehr draufschauen. Ich reagiere, improvisiere. Barbara Freier ist
eine gute Gesprächspartnerin. Sie redet offen drauf los. Weiter!
Wird man denn tatsächlich
abgelehnt, weil man für RTL spielte, weil man in dieser Serie spielte oder weil
man tatsächlich nach einigen Jahren halt auf eine Rolle, auf einen Typ festgelegt
ist?
Es ist
sicher eine Mischung aus allem. Deswegen hab ich nach dem Ende von ‚Hinter
Gittern’ auch gesagt: ich höre auf. Da war eine Entwicklung da, die einfach
nicht mehr gut war und die ich mit meiner Vorstellung von der Arbeit als
Schauspielerin nicht mehr vereinbaren konnte. Die Produktionsbedingungen wurden
immer schlechter, die Bücher auch. Es musste alles nur noch billig sein und
schnell abgedreht.
Ein grundsätzliches Problem der
Branche?
Klar. Es
wird überall gespart. Auch am Theater. Daher mein kompletter Rückzug. Es war
mir nicht mehr autonom genug. Weil vor allem beim Fernsehen jeder reinquatscht.
Es zählt da nicht mehr, was einer kann und wie gut er in seinem Job ist.
Hauptsache, er arbeitet schnell und billig. Es geht auch lange nicht mehr
darum, ob man eine gute Geschichte erzählen kann oder will. Es geht nur noch um
Macht und Geld. Und mein persönliches Schicksal ist: ich passe nicht ins
TV-Bild von heute. Heute will man fast ausschließliches was junges, knackiges sehen,
am besten blond und mit dicken Titten. Das ist ein Phänomen des
Privatfernsehens.
Vielleicht fehlen aber auch die
guten Stoffe, die guten Geschichten?
Es gibt nur
zu wenige, die sich trauen, auch mal ein Tabu zu brechen. Man muss Tabus
brechen, damit Leute was daraus lernen können. Und schauen Sie Sich das
Programm von heute an: es wird so vieles nur kopiert von amerikanischen
Erfolgsformaten. Von ‚Dr. House’ gab es mal ein deutsches Pendant auf Sat1.
Schrecklich. Als ob es hier in Deutschland keine eigenen Geschichten gibt, die
man gut erzählen kann.
Und da wiederum fehlt es wohl an
Mut?
Natürlich.
Es übernimmt ja keiner mehr Verantwortung. Bei ‚Hinter Gittern’ quasselten
damals auch alle rein: der Producer, der Assistant Producer, die Redaktion, der
Head-Autor, irgendeiner vom Sender. Wenn man da mal etwas klären wollte, hieß
es: „Da musst du den Redakteur fragen, dafür ist der verantwortlich.“ Der
Redakteur sagt: „Das war die Vorgabe des Senders.“ Und so ging es immer weiter.
Es fehlt grundsätzlich am Mut, etwas Eigenes zu schaffen. Was auch am
Quotendruck liegt. Man hat ja keine Zeit mehr, etwas zu entwickeln, weil nach
drei, vier Folgen die Sache aus dem Programm genommen wird. Die Folge ist, dass
man eben lieber ein anderes Format kopiert. Das ist nicht so risikoreich, weil
das die Leute schon kennen.
Und wenn mal jemand eine gute
Geschichte erzählen will…
…dann guckt
doch keiner mehr zu. Nehmen sie Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“
als Beispiel. Wie sehr ihn das geschmerzt haben muss! Und es guckt keiner zu,
weil das Fernsehen nicht mutig genug ist, dass auf einen attraktiven Sendeplatz
zu stellen. Denn vorher muss ja noch Geld verdient werden mit Deppen-TV.
Das muss Sie als Schauspielerin,
die den Beruf von Grund auf gelernt hat, auch sehr schmerzen.
Ach, ich hab
eine gute Zeit in dem Beruf gehabt und mir hat es Spaß gemacht. Ich hab nur
nach ‚Hinter Gittern’ erfahren, dass ich in dieser Entwicklung des Gewerbes
keinen Platz mehr habe. Nietzsche hat mal gesagt: „Das Tragische an jeder
Erfahrung ist, dass man sie erst macht, nachdem man sie gebraucht hätte.“ Aber
es ist jetzt auch gut so: ich kann jetzt in aller Ruhe dem Gewerbe beim
Abkacken zusehen.
Schauen sie viel fern?
Ausgewählte
Sachen. Aber Bauern, die Frauen suchen, andere Frauen, die getauscht werden –
das interessiert mich nicht. Und jeder lässt mal sein versifftes Badezimmer
abfilmen. Das ist eine ganz schlechte Entwicklung.
Katy Karrenbauer, eine alte
Kollegin aus ‚Hinter Gittern’-Zeiten machte es anders und ging in den
Dschungel.
Wenn sie meint,
dass das ihr Ding ist, soll sie das gerne weitermachen. Es steht mir nicht zu,
darüber zu urteilen.
Jetzt: bloß nicht nachhaken.
Name-Dropping ist nicht das Ding von Frau Freier. Sympathisch.
Reden wir über Ihre Anfänge als
Schauspielerin? Sie sind ja schon sehr früh angefangen.
Ich war
schon als junges Mädchen an der Folkwang-Schule in Essen. Ich wurde als
Theaterschauspielerin ausgebildet und entsprechend gefordert. Das ist natürlich
ein Unterschied zu der Arbeit für eine Fernseh-Serie.
Und aufgrund dieser Ausbidung
wurden Sie ein gefeierter Theater-Star und spielten praktisch in allen großen
Häusern der Republik. Hamburger Schauspielhaus, Münchener Kammerspiele, unter
anderem.
Das war eine
geile Zeit, vor allem in München. Die Leuten standen nach den Vorstellungen und
johlten vor Begeisterung. Das war immer ein riesiges Getöse. Wir hatten auch
tolle Regisseure: Dieter Dorn und Ernst Wendt. Das wird der jüngeren Generation
natürlich nichts mehr sagen. Schade eigentlich. Das war ein tolles Arbeiten.
Man hat uns richtig gefordert, als wir die großen Dramen von Shakespeare
spielten, die Stücke von Kleist. Und wir hatten als Schauspieler viel größere
Freiheiten, als man sie einem jetzt einräumen würde. Wir konnten improvisieren,
wenn wir unsere Rolle erstmal besser kannten. Wir hatten überhaupt viel mehr
Zeit, uns mit unserer Rolle und den Stücken, die wir spielten, zu beschäftigen.
„Warum hat Kleist das so geschrieben? Was will er uns damit sagen?“ Diese Zeit
gibt einem niemand mehr, auch nicht am Theater.
Beim Fernsehen schon gar nicht.
Genau. Und
das ist ein Aspekt der Arbeit, von dem ich sage: Das kann man nicht lernen. Ich
hatte bei ‚Hinter Gittern’ immer einen leichten Stand, weil ich schnell in die
Situation und in die Rolle schlüpfen konnte. So konnte schnell gedreht werden.
Heute sagt man: „Na, das kann doch jeder“ und jeder Depp denkt „Na, wenn ich
beruflich gar nix mehr gebacken kriege, kann ich immer noch Schauspieler
werden.“
Warum sind Sie trotzdem zum Film
und ins Fernsehen gegangen, wenn es am Theater so eine tolle Zeit war?
Also, in den
allerersten Jahren und Jahrzehnten war das fast nicht möglich. Ich hab in den
60er und 70er Jahren die Zeiten erlebt, wo es verpönt war, was fürs Fernsehen
zu machen. Das war igitt, das war bäh. Aber auch das war eine Entwicklung, die
sich nicht aufhalten ließ: das Fernsehen zahlte einfach besser. Und wer wollte
da noch Theater machen, bei den miesen Gagen und den Arbeitszeiten? Du warst ja
damals als Theater-Schauspieler völlig desozialisiert. Geprobt und gespielt
wurde auch an Sonn- und Feiertagen. Und zu Weihnachten musstest du noch die
Weihnachtsgeschichte spielen. Danach wartet zu Hause keiner mehr auf dich.
Ihre Fernseh-Karriere begann mit
der ARD-Serie ‚Der Fahnder’, nebenbei spielten Sie aber weiter Theater?
Ja, die
Bavaria, die den ‚Fahnder’ produzierte, hat sich irgendwie mit den Münchener
Kammerspielen arrangiert, so, dass ich beides konnte. War aber natürlich auch
stressig. Morgens um 5 Uhr stehst du auf und arbeitest an mehreren Baustellen
bis Mitternacht durch.
Hart…
Eine Zeit
lang hält man das schon aus. Und ‚Der Fahnder’ war auch gut gemacht, wir waren
erfolgreich. Das wissen viele gar nicht mehr, dass Dominik Graf die Serie
gemacht hat. Und viele Schauspieler hatten im ‚Fahnder’ ihre ersten großen
Auftritte. Otto Sander, Dieter Pfaff.
Und Klaus Wennemann, der als
‚Fahnder’ berühmt wurde, spielte dann auch bei ‚Hinter Gittern’ ihren Ehemann.
Stimmt, ich
war im ‚Fahnder’ seine Freundin. Und für ‚Hinter Gittern’ hat man ihn wohl
ausgewählt, weil man wusste, dass wir gut miteinander spielen können. Ein
toller Schauspieler, viel zu früh verstorben.
Im ‚Fahnder’ spielten Sie von
1984-1993, danach wieder Theater?
Ja, aber
schon in diesen Jahren machte ich noch mehr Sachen fürs Fernsehen, drehte einen
‚Tatort’ mit Dominik Graf. Nach 91 Folgen ‚Fahnder’ war´s dann auch genug. Ich
ging dann nach Hannover ans Theater.
Und dann kam ‚Hinter Gittern’.
Ein
ehemaliger Produzent vom ‚Fahnder’ rief mich eines Tages an und sagte: „Du, wir
sitzen hier grad zusammen und entwickeln da eine völlig neuartige Serie. Und
wir haben da eine Rolle, die würden wir gerne mit dir besetzen.“
Also kein Casting und Uschi
König, Ihre Rolle, stand quasi schon für Sie bereit?
Genau. Ich
war in Berlin, hörte mir die Vorstellungen der Produzenten an und fand
grundsätzlich die Sache reizvoll. Und ganz profan gesagt: ich konnte auch das
Geld gut gebrauchen. Ich war damals geschieden und alleinerziehende Mutter.
Mein Sohn war damals 8 und ich hab den Leuten gesagt: „Wenn ihr mich
wollt und ich sofort drehen soll: dann organisiert meinen Umzug, besorgt mir
ein Au-Pair für meinen Sohn, dann mach ich´s.“
Was genau hat sie an dem Projekt
gereizt?
Zunächst
ganz klar die Idee: eine Serie, die im Knast spielt, gab es noch nicht. Ich war
sehr neugierig, was in dieser Konstellation, auf engstem Raum, für Geschichten
möglich sind und was man erzählen kann. Und der Cast hat mich überzeugt: so
viele Frauen auf einem Haufen bedeutete beim Theater immer auch
Stutenbissigkeit. Das war bei ‚Hinter Gittern’ nicht so. Wir haben alle
bedingungslos zusammengehalten. Das hat sich natürlich irgendwann geändert, als
Rollen ausgetauscht wurden und der Erfolg dann plötzlich kam.
Hatten Sie Einfluss auf Ihre
Rolle?
Nein, die
stand schon. Natürlich noch nicht in der kompletten Entwicklung, Man plante
‚Hinter Gittern’ ohnehin erstmal kurzfristig. Dass man dann teilweise 6-7
Millionen Zuschauer hatte, war ja nicht abzusehen. Uschi König war im Grunde
erstmal nur als Gegenpart zu Walter aufgebaut. Es gab zwei Gruppen im Knast,
die Uschi und Walter anführten. Uschi hatte die Ängstlichen und Dummen, Walter
hatte immer die etwas Cooleren, die spannenderen Charaktere. Und erst später
entwickelte es sich so, dass Uschi und Walter nicht nur immer auf Konfrontation
gingen, sondern sich anfreundeten, weil sie feststellten, dass sie einander
brauchen. Und es waren diese Momente, die ‚Hinter Gittern’ so gut werden ließen:
weil man viel Platz hatte, um Beziehungen zu erklären und aufzubauen.
Walter war Katy Karrenbauer…
… mit der
hatte ich meine schönsten Szenen.
Ihre Lieblings-Szene?
In der
Folge, als Uschi beschließt, den Drogendealer ihrer toten Tochter zu
erschießen. Irgendwie hatten damals Uschi und Walter eine Pistole auf Station,
ich glaub, die kam noch von Zöllner. Damit keiner was mit der Pistole anfangen
und Schaden anrichten kann, einigten sich die beiden Gruppenköpfe darauf, sie
sich zu teilen. Uschi hatte die Pistole, Walter das Magazin. Und dann gab es
eine Szene, wo Uschi Walter überreden will, ihr das Magazin zu geben. Und
Walter sagt dann: „Uschi, ich weiß, was du vorhast.“ Toll war das. Aber auch
andere Szenen: als Walter auf der Flucht ist und in Uschis Übergangsheim
auftaucht und Uschi durch ihre Hilfe die Ehe mit ihrem Lorenz gefährdet.
Meine Lieblingsszene von Uschi
ist die, wo Sie Walter vor der Personaluntersuchung retten will…
Ohja. Walter
hat sich für ihre Rache an Baumann als Schließerin in den Knast geschmuggelt,
Uschi wusste natürlich bescheid und spielte die Irre, die wieder in die
Psychiatrie muss. „Hallooooo. Walter ist wieder daaaaa. Haaaaallooooooo.“ So
hat sie Walters Identität geheimgehalten.
Sehe die Szene grad vor mir. Sehr
beeindruckend gespielt. Und die Stimme der Freier: ergreifend authentisch.
Genau wie damals in der Szene.
Aber wenn man
da fünfmal die Karrenbauer schleppen muss und „Haaaaalloooo“ brüllen muss, ist
das dann auch kein Spaß mehr.
Nicht immer.
Uschi war mir im Grunde zu langweilig. Sie war die Gute, die Mutti im Knast,
die immer zuhörte und für andere da war. Mir fehlten die Risse im Charakter,
die kamen mir zu selten. Als sie dann später mit Dr. Strauss verheiratet war
und draußen lebte, schmierte sie ihm noch die Butterbrote. Ich mein, hallo??
Das ist eine Frau mit einem hohen kriminellen Potential gewesen. Die hat
während eines Freigangs einen Drogendealer am Grab ihrer Tochter erschossen.
Und trotzdem hat man sie zu oft als die Gute dargestellt.
Uschi war aber auch immer die
Kämpferin für Gerechtigkeit und hat sich für Schwächere oder die Belange der
Gruppe eingesetzt, gegen Obrigkeiten gekämpft, sich mit der Gefängnisleitung
angelegt.
Uschi hatte
im Grunde eine große Sehnsucht nach Harmonie. Und immer, wenn es grad sehr
harmonisch war, siehe die Ehe mit Dr. Strauss, hat sie es verbockt. Da war dann
mal ein Riss drin, als sie wieder durchdrehte. Aber dann steckte man sie
einfach wieder in den Knast und die Geschichte war vorbei. Das war schade.
Hatten Sie die Möglichkeit,
während der Produktion Einfluss zu nehmen auf Uschis Entwicklung?
Überhaupt
nicht. RTL hat später am laufenden Band die Autoren ausgewechselt. Die waren
kaum geschult, wurden aber engagiert, weil sie in kurzer Zeit ganz viel
schreiben konnten. Man muss dazu sagen: auf dem Gelände, wo wir täglich gedreht
haben, war auch die gesamte Produktion untergebracht, alle Büroräume. Und dann
kriegte man die neuen Drehbücher, liest sie sich durch und stellt fest: „Das
ist nicht Uschi König, die da spricht.“ Ich ging dann runter zu den Autoren und
sagte „So würde Uschi König nie reagieren. Kennt ihr die Rolle überhaupt, ihren
Verlauf, wisst ihr, dass sie mal in der Psychiatrie war?“ Da kam als Antwort
„Aber wir sind doch neu.“ Da könnte ich ausflippen.
Haben Sie es getan?
Naja, die
Produzenten sagten dann immer „Ihr sollt nicht denken, ihr sollt spielen.“ Die
haben irgendwann nicht mehr verstanden, wie ‚Hinter Gittern’ funktioniert. Nur
ein Beispiel: die Hauptzielgruppe waren, das merke ich noch heute, wenn mich
jemand auf der Straße anspricht, Frauen um die 50. Diese Zielgruppe
interessiert aber RTL nicht. Die wollen die jungen Leute ansprechen. Und zwar
nur die Jungen. Was ist das bitte für eine menschenverachtende Entwicklung?
Aber so ging RTL ja auch mit uns Schauspielern um.
Menschenverachtend?
Aber hallo. Die
Produktionsbedingungen wurden von Jahr zu Jahr schlechter. Es musste immer
billiger und schneller werden, weil RTL nicht wusste, wie man Werbekunden für ‚Hinter
Gittern’ gewinnen soll. Also mussten die Produktionskosten gesenkt werden. Es
wurde sogar an der Beleuchtung gespart. Die war in den Räumlichkeiten eh schon
nicht gut – und dann wurde daran nochmal gespart, dass man im Gesicht am Ende
auf dem Bildschirm aussah wie Laterne unten, wo die Hunde dranpinkeln. Und man
hatte immer dieses latente Gefühl, dass die Verantwortlichen sagen „Was können die da eigentlich?“. Das war
schade, denn ‚Hinter Gittern’ war jahrelang auch richtig gut.
Auch wenn einige Geschichten
schon sehr weit hergeholt waren?
Ja,
teilweise haben wir Grimms Märchen verfilmt. Allein die ganzen Geschichten um
Walter. Einmal kommt sie selbst als Schließerin verkleidet zurück, dann kommt
ihr Zwillingsbruder als Austausch für sie in den Knast. Aber da hatte man
wenigstens noch was zu lachen, wenn du solche Bücher gelesen hast.
Wo verging Ihnen das Lachen?
Ach, später
hat man zu viele Geschichten parallel erzählt. Die Stärke der Serie war
zunächst, dass man Geschichten, ja, sogar einzelne Szenen länger ausgehalten
hat. Das hat man irgendwann gekappt. Weil die ständigen wechselnden
Verantwortlichen immer was Neues haben wollten. Dann gabs mal eine Ugly-Phase,
wo die Storys härter wurden. Dann musste aber später wieder alles ganz weich
und harmonisch sein, danach aber wieder ugly. Am Ende hab ich mich fast
geschämt, dass ich überhaupt noch weitergemacht habe.
Wieso das?
In den
letzten drei Jahren hat man mir immer gesagt: „Wir wissen einfach nichts mehr mit
dir und deiner Rolle anzufangen. Uschi ist zu dick und zu alt.“ Wie gesagt: man
hat selten mal verstanden, das Potential aller Frauen in dem Knast mal
auszuschöpfen.
Dabei hatte Uschi noch eine gute
Story, rund um die „rote Mamba“.
Stimmt, das
war wirklich nochmal gut. Da hatte ich auch zwei tolle Szenen mit meiner Gegenspielerin,
die von Peggy Lukac gespielt wurde. Super. Aber danach fand Uschi nicht mehr
statt. War aber auch gut so. Weil man am Ende so viel falsch gemacht hat.
Was hat man falsch gemacht, so
dass Sie Sich schämten, nicht aufgehört zu haben?
Schämen war
vielleicht der falsche Ausdruck. Aber so im Nachhinein würd ich es für mich persönlich
toller finden, wenn ich sagen könnte: ich hatte einen richtig guten Abgang. Den
hatte ich nicht. Was man falsch gemacht hat? Nun, zum Ende hin fast alles. Man
findet auf der Station eine Bombe, die Walter über die Mauer werfen will – und
alle rennen hinter ihr her. Ja, bitte, das passt doch nicht. Und von der
letzten Staffel will ich gar nicht erst reden. Da fing es mit der falschen
Besetzung schon an. Die neue Direktorin hätte bestenfalls einen Kirchenchor
leiten können, da hat man völlig falsche Charaktere entwickelt. Und der
Kardinalfehler: man hat alle Geschichten nur noch angerissen und nicht
auserzählt, sondern irgendwann fallenlassen. Das hat keinen Spaß mehr gemacht.
Aber RTL meinte: „Das wollen die Leute sehen.“ Falsch! Damit hat RTL die Serie
umgebracht.
Abschließend gefragt: war ‚Hinter
Gittern’ ein Segen oder ein Fluch?
Vermutlich
eher ein Segen. Ich hab dadurch viel gelernt. Da passt auch der Satz von
Nietzsche wieder. In gewisser Weise kann man also sagen: ich fahre grad meine
Ernte ein. Ich hab in all den Jahren nicht schlecht verdient. So dass ich ohne
schlechtes Gewissen aufhören konnte.
Und ab und zu nochmal als
Sprecherin aktiv sind?
Aber die
zahlen ja auch nicht mehr gut. Wenn du da einen Auftrag hattest, musst du auch
teilweise lange auf deine Gage warten. Ich sagte ja schon: das ist allgemein
eine schlechte Entwicklung, weil es nur noch um Macht und Geld geht.
Aber Verbitterung klingt da nicht
mit?
Keineswegs.
Ich hab diese Entscheidungen auch alle bewusst getroffen. Und jetzt grad bin
ich wieder mal an einem kleinen Knackpunkt in meinem Leben: mein Sohn zog aus,
meine Eltern kommen ins Pflegeheim. Und ich
merke: „Freier muss nochmal durchstarten.“
Wie macht Freier das?
Freier gibt
Ruhe, schläft viel und verlässt sich auf ihre Intuition. Irgendwas wird da
sicher noch kommen, was ganz toll wird. Man soll ja auch nie nie sagen.
Ein schöner Abschluss wäre das.
Klar. Aber: noch haben wir sechs Fragen.
Wen würden Sie gerne mal
interviewen?
überlegt lange Gena Rowlands. Fast so eine Art
Vorbild, in ihrer Art, zu spielen. Kennen Sie „Woman under influence“? Toller
Film.
Ein Lied, Buch oder Film passend
zu ihrer momentanen Lebenssituation?
Fällt mir zu
allem was ein. Buch: „Die Klavierspielerin“ von Elfriede Jelinek. Film: Matrix Teil
1, ich sage nur: „Versuche nicht den Löffel zu verbiegen. Es gibt keinen
Löffel, du verbiegst dich.“ Lied: alles von Eric Clapton. Als mein Sohn neulich
auszog, kramten wir in alten Kisten und stießen auf alte Platten, die wir dann
hörten. Eric Clapton, aber auch Cat Stevens und Annie Lennox: wunderbare
Musiker. Und so sehr emotional.
Sie sang dann noch „Layla“ von
Eric Clapton an. Stellen Sie Sich das bitte einfach irgendwie vor.
Was machen Sie jetzt direkt im
Anschluss?
Ich gehe auf
meinen Balkon, gieße die Blumen und mach mir was zu essen.
Beste Beleidigung, die Sie
kennen?
Beleidigungen
interessieren mich nicht. Wenn man Leute beleidigt, ist das immer ein Zeichen
von Schwäche.
Was können Sie mir erzählen, was
ich noch nicht weiß?
Sie wissen
nicht, wie meine Wohnung aussieht.
Und ich werde es nie erfahren,
weil Sie nie zu „Frauentausch“ oder zum „Perfekten Dinner“ gehen.
Das war
jetzt aber nach dem ganzen Gespräch eine ziemlich dumme Frage.
Okay, letzte Frage: was darf ich
Ihnen wünschen?
Sie überlegt. Klar. Später sagte
sie noch „Nachher geht das noch in Erfüllung, damit muss man ja vorsichtig
sein.“
Mal eben nachfragen:
War das jetzt auch eine dumme
Frage?
Nein, gar
nicht. Ich wünsche mir, noch etwas zu tun, was mich und andere noch begeistert.
Dann wünsch ich Ihnen das ebenso.
Vielen Dank.